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Thema: Evil - Jack Ketchum
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11.01.2010, 12:36 #1Raul Endymion
Evil - Jack Ketchum
Ich habe lange Überlegt ob ich ein Review zu diesem Buch hier einstellen soll oder nicht.
Denn es ist ein Buch das die Gemüter spaltet und ich kenne auch mehrere Personen die es nicht zu Ende lesen konnten.
Vor allem durch die Tatsache dass alles auf einer wahren Begebenheit beruht.
Ich bin auch sehr vorsichtig mit Empfehlungen zu diesem Buch. Daher versuche ich so sachlich wie möglich über das Buch zu schreiben, jedoch ist sowas im Rahmen eines Reviews auch nicht ohne die Einflüsse von eigenen Meinungen und Empfindungen möglich.
Kurzbeschreibung:
Jack Ketchums beunruhigender, grenzüberschreitender Horrorthriller gilt unter Experten als eines der großen Meisterwerke des Genres. Die Geschichte eines Jungen, der inmitten einer amerikanischen Vorstadtidylle mit unvorstellbaren Grausamkeiten konfrontiert wird, steigt tief hinab in die Abgründe der menschlichen Psyche. Nachdem der brillant geschriebene Roman viele Jahre unter der Hand als geheimer Klassiker die Runde gemacht hatte, erhält er jetzt nicht zuletzt dank Stephen King, der zu diesem Werk auch eine ausführliche Einleitung verfasst hat, die verdiente Aufmerksamkeit und erscheint nun endlich auch als deutsche Erstausgabe.
Warnung:
Vor der "Einleitung" von Stephen King kann ich nur warnen. In dieser Einleitung verrät Stephen King doch gleich den Schluss des Buches! Daher bitte diese "Einleitung" überspringen und erst nach dem Buch lesen.
Buch:
Amerika, mittlerer Westen in den 50er Jahren.
Der 12-jährige David ist ein ganz normaler Junge in einer US-Kleinstadt und spielt am liebsten mit den Nachbarjungen, Donny, Willie und Woofer, wo er sich auch am häufigsten aufhält. Die Nachbarn haben ein Geschwisterpaar, Meg und Susan bei sich aufgenommen, welches seine Eltern verloren hat. Von diesem Tag an soll sich das Leben für David - und nicht nur für ihn - schlagartig und für immer ändern und nie mehr wie zuvor sein...
Die erzählerischen Fähigkeiten von Jack Ketchum schaffen es, den Leser innerhalb Sekunden in seinen Bann zu ziehen.
Schlagartig befindet sich der Leser zuerst in einem lupenreinen Coming-of-Age Roman. Man begleitet den Ich-Erzähler David und seine Spielkameraden bei den täglichen Aktivitäten wie dem Herumstreunen, Ballspielen, Cowboy und Indianer Spielchen, und was man halt sonst noch so in einem Sommer der 50er Jahre macht. Ungezwungenheit und Abenteuer bestimmen das Leben der dargestellten Kinder.
Doch aus dieser trügerischen Idylle, entwickelt sich nach und nach der abgrundtiefste Terror.
Alles erscheint zuerst friedlich und harmonisch, bis jedoch die elternlose Meg immer mehr das Ziel von kleinen Angriffen und Ungerechtigkeiten wird. Angeführt von ihrer Pflegemutter Ruth und deren Kindern.
Aus Ungerechtigkeiten werden Gemeinheiten. Aus Gemeinheiten werden Bestrafungen. Aus Bestrafung wird ungezwungener Sadismus und Folter.
Die Pflegemutter Ruth übernimmt hierbei eine führende Rolle und schart dabei nicht nur Ihre eigenen Kinder, sondern auch die aus der Nachbarschaft, als Helfershelfer um sich.
Ab hier deutet sich schon an wie allen Protagonisten, nach und nach, die Kontrolle über ihr Tun entgleitet und die hilflose Meg immer mehr zum puren Objekt degradiert wird.
Der innere Konflikt den der Junge David bei den geschilderten Verbrechen hier austrägt, ist der wahre psychologische Horror dieses Buchs.
Die Hilflosigkeit eines 12-jährigen Jungens, der sich nicht mehr entscheiden kann, ob seine stille Duldung der Taten Rechtens ist. Alles was die Kinder tun ist von einer Art "verbotener Neugierde" angetrieben und wird durch die erwachsene Pflegemutter Ruth von einer amoralischen auf eine legitimierte Ebene gehoben.
Da diese schrecklichen Taten die durch das Urteil eines Erwachsenen quasi legalisiert werden, wird gleichzeitig das Wertesystem der Kinder zerstört und durch ein Neues ersetzt in denen Mitleid keinen Platz mehr hat.
Ketchum schildert Davids inneren Konflikt so gut, dass dem Leser seine Tatenlosigkeit, trotz der passiven wie auch gezwungen aktiven Teilnahme an den Verbrechen, (beinahe) nachvollziehbar erscheint.
Wie kann dies falsch sein, wenn die Erwachsenen (Ruth) dies zulassen?
Was ist daran falsch, wenn doch alle mitmachen und die Sache an sich zum Selbstläufer gerät?
Was ist noch Spiel, und was ist blanker, menschenverachtender Sadismus?
Ein Drama über die tiefe Abgründigkeit der menschlichen Seele.
Und hier offenbart sich auch Ketchums Brillianz als Autor. Ketchum schreibt schnörkellos, treffsicher, geradlinig und kein einziges Wort zuviel. Und diese prägnante Schreibweise lässt die Augen des Lesers, trotz aller Grauen, begierig an den Zeilen kleben.
Und das obwohl die Handlung mehr als nur unschön ist. Man stürzt in ein Wechselbad aus Gefühlen, Spannung, Ekel, Freude, Abscheu, Mitleid und Hoffnung. Und das Buch ist hart, verdammt hart.
Und das entsteht gar nicht wirklich durch detailierte Beschreibungen irgendwelcher Grausamkeiten.
Es sind die Bilder die im Kopf des Lesers entstehen, wenn Boshaftigkeit sich mit Schlägen und heissem Wasser paaren.
Beispielhaft sei hier eine Passage erwähnt in der der Ich-Erzähler David beschreibt wie zur Vorbereitung weiterer Gräueltaten an Meg das Eisen im Feuer glühend gemacht wird. Mit mehr als nur einem mulmigen Gefühl im Magen blättert man weiter nur um dann folgende Passage zu lesen:
Darüber werde ich euch nichts erzählen. Ich weigere mich.
Es gibt Dinge, die erzählt man nicht. Da stirbt man lieber.
Dinge, von denen man weiss, dass man besser gestorben wäre, statt sie zu erleben.
Diese Dinge habe ich erlebt.
Die eigentliche Tat ansich wird nicht mehr beschrieben und doch findet sie zugleich in weitaus größerer Dimension im Kopf des Lesers statt. Gerade durch das Weglassen und dem Einfügen dieser kleinen Passage erzeugt Ketchum den ultimativen Horror im Kopf des Lesers.
Evil ist alles nur kein leichter Stoff.
Ein Buch dass die Gemüter erhitzt, polarisiert aber in gewisser Weise auch sehr ehrlich ist.
Und dies ist dem Autor Jack Ketchum zuzuschreiben. In einem thematisch heiklen Bereich (Qual und Folter Minderjähriger durch Minderjährige), in dem viele Autoren darum bemüht sind ein wenig die "political correctness" zu wahren, macht Ketchum keine Gefangenen. Dieses Buch wirkt wie ein unangekündigter Schlag in die Magengrube mit einem Vorschlaghammer. Hart, kompromisslos, mit allen Schmerzen und Nachwirkungen.
Wer immer den "puren Horror" wollte, hier ist er. Aber man darf sich dann hinterher nicht beschweren, dass es einem dann nicht mehr so gut geht.
Ein sehr berührendes, wie auch unglaublich schwer verdauliches und grenzenlos grausames Buch.
Im Romansektor eine kleine Grenzerfahrung.
Untermalt von der Tatsache, dass die Geschichte auf einer wahren Begebenheit beruht.
The Torturing Death of Sylvia Marie Likens, from The Crime Library - Crime Library on truTV.com
Ein Buch dass mich gleichermaßen beeindruckt wie zutiefst geschockt hat.
Empfehlung?
Wenn man ungefähr ahnt auf was man sich einlässt und auch bereit für gewisse Grenzerfahrungen ist, dann ja.
Ist man jedoch auf der Suche nach Unterhaltung, sollte man tunlichst die Finger von diesem Roman lassen.
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12.01.2010, 21:59 #2Reijo
AW: Evil - Jack Ketchum
Äußerst informatives und aufschlussreiches Review!
Kann mich nur anschließen.
Wirklich ein "klasse" Buch, doch man sollte wissen, worauf man sich einlässt.
Jack Ketchum schreibst schohnungslos wie kein andere Autor und schreckt vor nichts zurück.
Die Tatsache, dass die Geschichte auf einer wahren Begebenheit beruht, macht das ganze Buch noch viel eindringlicher.
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22.01.2010, 16:44 #3Büfflpanzer
AW: Evil - Jack Ketchum
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